– Der Kampf gegen Polizeigewalt geht weiter
24.01.2022
Nach mehr als zwei Jahren endet die Death in Custody Kampagne. Konkret bedeutet das für uns, dass das Bündnis sich auflöst, der Blog https://deathincustody.noblogs.org nicht mehr aktualisiert wird und wir als Kampagne an keiner weiteren Vernetzung oder an anderen Formen des Protests teilnehmen werden. Die Recherche-AG wird ihre Arbeit jedoch fortsetzen und weiterhin die Dokumentation der Todesfälle aufrechterhalten und ergänzen. Die Dokumentationswebseite https://doku.deathincustody.info wird somit regelmäßig aktualisiert und die Gruppe ist auch weiterhin erreichbar über death-in-custody@riseup.net
Zunächst einmal möchten wir uns bei allen Gruppen, Initiativen und Einzelpersonen bedanken, die Teil des Bündnis waren, mit uns zusammengearbeitet oder uns auf unterschiedlichste Weise unterstützt haben. In den zwei Jahren, in denen wir aktiv Recherche und Öffentlichkeitsarbeit gemacht haben, ist viel passiert. Neben dem tödlichen Covid-19 gab es erneut eine Zuspitzung der rassistischen Gefahr in Deutschland, welche uns vor allem durch die faschistischen Anschläge von Halle und Hanau1 im Gedächtnis geblieben sind. Auch durch die Polizei und Justiz wurden mehrere Menschen ermordet, wie zum Beispiel Ferhat Mayouf2, Mohamed Idrissi3 oder aber auch Maria B.4, um nur einige Namen zu nennen.
Gleichzeitig gab und gibt es immer wieder Menschen, die den Status Quo nicht mehr hinnehmen und dagegen auf unterschiedlichste Weise kämpfen. Ob es zum Beispiel die langjährigen Genoss:innen von der Oury Jalloh Initiative5 sind, oder die 2020 gegründetede Migrantifa6. Der Widerstand gegen Rassismus erreichte im Sommer 2020 einen Höhepunkt. Durch George Floyds Ermordung und die darauf folgenden massiven Proteste weltweit konnte Polizeigewalt nicht mehr ignoriert werden. Auch in Deutschland berichteten erstmals auch bürgerliche Medien breiter über staatliche Gewalt und Rassismus. Die Veröffentlichung unserer vorläufigen Rechercheergebnisse zu Todesfällen von rassifizierten Menschen in Gewahrsam am 08.06.20207 wurde in diesem Zusammenhang mehrfach aufgegriffen. Unsere Recherche wäre nie zustande gekommen ohne die Arbeit anderer Initiativen, wie zum Beispiel der ARI8 und CILIP9, aber auch kleinerer Gruppen, Journalist:innen oder Einzelpersonen. Vor allem auf letztere sind wir weiterhin angewiesen, um die Dokumention möglichst genau fortführen zu können. Momentan sind uns 203 Todesfälle seit 1990 bekannt, die Dunkelziffer dürfte aber sehr viel höher sein (Stand: 08.01.2022). Und das Töten geht weiter.
Allein im Jahr 2021 sind uns bislang sechs Fälle bekannt, und es werden sicher noch weitere hinzukommen. Giórgos Zantiotis10 und Qosay Sadam Khalaf11 um nur zwei der bekannteren zu nennen. Und obwohl jeder Todesfall und Mord unterschiedlich ist, offenbart sich immer ein ähnliches Muster. Die Polizei weist jede Verantwortung von sich und spricht von tragischen Einzelfällen. Die Staatsanwaltschaft zeigt kein Interesse das Handeln der Exekutive zu überprüfen oder diese gar zur Rechenschaft zu ziehen. Viele Medien übernehmen die Aussagen der Polizei und werten diese als objektiv; oftmals greifen sie auf rassistische oder andere abfällige Stereotype zurück, um eine Täter-Opfer-Umkehrung zu vollziehen. Solche Verdrehungen der Tatsachen sind keine Einzelfälle, sondern kommen systematisch vor. Häufig werden die Opfer als gefährlich, aggressiv und kriminell dargestellt, um die Gewalt gegen sie zu rechtfertigen. Die Inszenierungen von Sicherheit durch ständige Kontrollen, die Anwendung von Racial Profiling, die Vertreibung von Obdachlosen oder anderen marginalisierten Gruppen. Razzien in Shishabars oder die Kriminalisierung ganzer Stadtgebiete durch die Konstruktion von sogenannten kriminalitätsbelasteten Orten (kbO), lösen keine gesellschaftlichen Probleme. Ganz im Gegenteil: Menschen leiden darunter ständig unter Verdacht zu stehen, stigmatisiert, vertrieben und eingesperrt zu werden. Schlimmstenfalls endet der Kontakt mit den Beamt:innen tödlich. Die Polizei hat nicht die Funktion, Menschen zu „helfen“ oder Konflikte zu lösen. Ihre Aufgabe besteht vielmehr darin, die Eigentumsverhältnisse und den ausbeuterischen und rassistischen Status Quo aufrechtzuerhalten und all jene zu unterdrücken, die sich dagegen auflehnen.
Die Gewalt und Todesfälle sind daher keine Zufälle, sondern nur eine logische Folge der jetzigen Funktion und Aufgabe der Polizei.
Politisch folgt daraus für uns: Wir können nicht darauf hoffen, dass die Polizei sich grundlegend verändern wird. Sie muss dazu gezwungen werden.
Die Einrichtung einer Ombudstelle12 oder der Legalisierung eines Denkmals für die Opfer von Polizei und rechter Gewalt13 in Berlin beispielsweise, sind kleine Erfolge, die ohne den anhaltenden Druck unterschiedlicher und diverser Aktionen von Gruppen und Einzelpersonen nicht denkbar wären.
Die Polizei selbst zeigt kein Interesse an grundlegende Veränderungen, sondern bemüht sich stattdessen um eigene Imagepflege, um auf Kritik und Proteste zu reagieren.14 Teil dieser Inszenierung ist der Berliner Polizeisprecher Thilo Cablitz, der als schwarze Person selbst schon Racial Profiling und anderen Rassismus erlebt hat. In Interviews hat er schon mehrfach über seine Rassismuserfahrungen berichtet, sieht diese aber als vermeidbar an, wenn die Beamt:innen nur besser sensibilisiert wären15. Seine Antwort sind Veranstaltungen über Vielfalt, Inklusion und Akzeptanz. Dass es sich bei institutionellem Rassismus um ein systemisches Problem handelt, leugnet er. Auch die Gründung der neuen Brennpunkt- und Präsenzeinheit (BPE), die für enorm viele Platzverweise und Schikane an den sogenannten kbOs verantwortlich sind16, verschweigt er lieber.
Diversity als Lösung zu verkaufen, erschwert eine ernsthafte und notwendige Auseinandersetzung mit rassistischer Polizeigewalt. Eine diverse Staatsgewalt ändert an sich allein recht wenig, wenn die Strukturen und Rahmenbedingungen die gleichen bleiben. Eine vielfältige Polizei hat die Ermordung von George Floyd nicht verhindert. Zwei der Täter waren PoC.
Lassen wir uns nicht von einer angeblichen offenen und demokratischen Polizei täuschen.
Im Kampf gegen Polizeigewalt dürfen wir uns nicht durch die Kriminalisierung von Antirassismus und Antifaschismus einschüchtern lassen. Lassen wir uns von der Repression nicht spalten, sondern stehen allen Betroffenen, Angehörigen, Mitstreiter:innen und Genoss:innen zur Seite, die sie erfahren. Lasst uns auch im Alltag einen solidarischen Umgang miteinander finden, auch und vor allem bei gegenseitiger inhaltlicher und praktischer Kritik und Konflikten. Ohne auch nur den Versuch dieses Ansatzes, hätten wir als Death in Custody-Kampagne niemals die Aufgaben bewältigen können, welche wir uns vorgenommen hatten.
Danke nochmal an alle, die uns unterstützt haben und wir bitten euch uns auch weiterhin, helft uns, unsere Recherche weiterzuführen und vervollständigen.
In diesem Sinne
No Justice No Peace
Abolish the Police
Quellen:
1https://19feb-hanau.org/
2https://criminalsforfreedom.noblogs.org/2021/01/in-gedenken-an-ferhat-mayouf-tod-in-gewahrsam-ist-kein-einzelfall/
3https://justiceformohamed.org/
4https://www.abc-berlin.net/maria
5https://initiativeouryjalloh.wordpress.com
6https://migrantifaberlin.wordpress.com/
7https://deathincustody.noblogs.org/post/2020/06/08/pressemitteilung-recherche-zu-todesfaellen-in-gewahrsam-in-deutschland-bekraeftigt-auch-in-deutschland-toetet-institutioneller-rassismus/
8https://www.ari-dok.org/
9https://www.cilip.de/
10http://www.thecaravan.org/node/4751
11https://qosay.de/
12https://www.berlin.de/sen/lads/recht/ladg/ombudsstelle/
13https://oplatz.net/ein-jahr-denkmal-lasst-uns-zusammenkommen/
14Hier sei an der Stelle angemerkt, dass auch der Beamte Ali D., der Sachbearbeiter für politische Anfragen, für die Werbekampagne posiert hat. Von Ihm wurde ein Foto veröffentlicht, wie er mit einem Schwarzen Gefangen grinsend ein Selfie macht. Mehr dazu: https://www.bz-berlin.de/berlin/herabwuerdigend-und-erniedrigend-dieses-selfie-ist-ein-polizei-skandal
15https://www.deutschlandfunkkultur.de/berliner-polizeisprecher-thilo-cablitz-wenn-wir-wirklich-100.html
16https://wrangelkiezunited.noblogs.org/12-monatige-aufenthaltsverbote-im-wrangelkiez/